Burgen-Blick - Serie alte Gebäude - Obsthütte Ingersleben

Die einsame Obsthütte an der Mark

Serie: Gebäude-Geschichten

Kulturlandschaften entstehen durch die Einwirkung des Menschen. Viele Landschaften, die wir heute für urtümlich und natürlich halten, gäbe es ohne den Menschen nicht. Ab und zu setzte er sogar noch Bauten in die freie Landschaft, z.B. eine Feldscheune. Bei Ingersleben steht noch ein anderes klitzekleines Gebäude, welches zur Nutzlandschaft gehört: Die Obsthütte am Weg von Ingersleben nach Marienthal, kurz vor der Gemarkungsgrenze zu Molsdorf. Für Obsthütten und Lagerhäuschen in unserem Gebiet gibt es keine zusammenfassenden Erkenntnisse. Es soll früher hier in der Gegend mehr gegeben haben, schließlich gab es ja ein großes Vorkommen von Streuobstwiesen.

An diesem Wintermittag im Februar gibt es auch am 5. Schneetag nur eine menschliche Spur von der Ingerslebener Rennerswiese am Waldsaum entlang nach Marienthal. Das war früher anders, selbst zu Schneezeiten. Die Strecke wurde oft gegangen, denn es war und ist eigentlich noch ein wichtiger Wanderweg und am Sonntag lockte einst ein Kaffeegedeck mit Torte im Gasthaus Marienthal. Seit den 1990er Jahren wurde die Landschaft hier stark verändert, mit Autobahn- und ICE-Brücke und den dazugehörigen Bauten dürften sie unsere Vorfahren kaum wiedererkennen.

Dann kommt eine ehemalige Streuobstwiese ins Bild, schon lange nicht mehr in Nutzung und deswegen auch ziemlich von der wilden Natur zurückerobert. Mit den Streuobstwiesen wurden dereinst hochstämmige Obstbäume auf Wiesen oder Weiden platziert. So hatte man eine Art „Doppelnutzung“. In verschiedenen Dörfern rund um die Drei Gleichen, so auch in Ingersleben, wurden Streuobstwiesen vor allem in unattraktiven Lagen oder auf Restflächen angelegt. In Ingersleben findet man derartige alte Streuobstwiesen noch an einigen Berghängen.

In der Mitte der alten Obstwiese ist die kleine steinerne Apfelhütte kaum zu entdecken, so sehr ist sie schon zugewachsen. Es war für Familie Schmidt aus Ingersleben eine seinerzeit sinnvolle Investition. Sie errichtete das kleine Häuslein aus Kunststein mit einer Betonabdeckung. Also schon ziemlich innovative Materialien! Die Streuobstwiese lag weit außerhalb des Dorfes, einst waren die Früchte heiß begehrt. Mancher machte zum Schaden des Besitzers lange Finger, so lohnte es schon, geschützt im Hüttchen aufzupassen. Arbeitsgeräte konnten eingelagert werden und mussten nicht hin- und hergeschleppt werden. Gießkanne, Baumsäge, Baumwachs, verschiedene Leitern und Apfelstiegen verbarg die einst schwere Tür, an die heute nur noch die Angeln und die Riegelfalle erinnern. Bei der Ernte brauchte man die Äpfel nicht sofort mit nach Hause zu nehmen. In der feuchten Kühle verschrumpelten die frühen Äpfel nicht gleich.

Der Erbauer hat sich in der Obsthütte verewigt. „F.Sch. 1929“ ist dort in den Mörtel geritzt. Ein interessantes Zeugnis. Unsere Vorfahren zeichneten gern auf ihre Alltagsmaterialien Initialen und Jahreszahlen, man denke nur an Backtröge und Kuchenbretter, selbst an zahlreichen Hoftüren und Hoftüren unserer Regionen findet man interessante Inschriften. Selbst diese kleine Obsthütte erzählt so ein Stück ihrer Geschichte selbst.

Die wenigsten Einheimischen wissen noch, dass bereits ca. 100 Meter hinter der Obsthütte die Gemarkung Molsdorf und damit seit 1. Juli 1994 das Gebiet der Landeshauptstadt Erfurt beginnt. Der tiefe Graben markiert die Grenze, die einstige Schonung ist längst ein stattliches Wäldchen geworden. Das Land der Umgebung heißt auf Ingerslebener Seite ganz einfach „Die Mark“, ein häufiger Flurname, den unsere Vorfahren in vielen Orten gern für Ländereien in der Nähe der Gemarkungsgrenzen benutzten.
Eine besondere Tradition haben diese kleinen Nutzbauten vor allem in Weingegenden. Der Weinbau ist z.B. in Mühlberg und Ingersleben über Jahrhunderte ausführlich belegt. Wer sehen möchte, wie Wein- oder Obsthütten in großer Zahl das Landschaftsbild prägen, der muss gar nicht weit reisen. Im Saale-Unstrut Gebiet finden sich in den Hängen unzählige dieser kleinen Gebäude, die meist noch als Lauben ausgebaut worden sind. Besonders idyllisch und südlich wird das Gesamtlandschaftsbild in der Region um Seeburg am Süßen See zwischen Halle und Eisleben. Dort stehen sogar einige fast baugleiche Geschwister der Ingerslebener Obsthütte an der Mark, die sogar in der gleichen Zeitepoche errichtet wurden. Obsthütten sind im Raum der Drei Gleichen heute nicht mehr so oft anzutreffen, oder sogar eine Seltenheit. Oder doch nicht?
Wir möchten die Leser bitten, doch einmal beim nächsten Spaziergang rund um die Drei Gleichen aufmerksam zu schauen, wo es noch ähnliche alte Obsthütten gibt. Sie sind Boten einer vergangenen Kulturlandschaft, die wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten könnten. Teilen Sie ihre Entdeckung gern der Redaktion des Burgen-Blick mit, unter info@burgen-blick.de oder Tel.: 036202 319982. Vielen Dank für Ihre Informationen.

Quelle

Foto + Text von Dirk Koch

Burgen-Blick

Erschienen in der Ausgabe: 27. Februar 2021