Burgen-Blick - Serie alte Gebäude - Gut Weidensee in Wechmar

Unauffällig prächtig! Das Gut Weidensee in Wechmar, ein lebendiges Denkmal unserer Region

Serie: Gebäude-Geschichten

Historische Gebäude und Denkmale dienen oft nicht mehr ihrer ursprünglichen Bestimmung. Beim Gut Weidensee gleich neben der Wechmarer Kirche verhält es sich ganz anders. Der große Vierseithof neben der Dorfkirche wird bewirtschaftet. Das große Anwesen braucht eine aktive landwirtschaftliche Nutzung, so lebt es. Ein zeitgemäßes Denkmal also, das nicht nur mit Stolz bewohnt wird, sondern zugleich den Arbeits- und Lebensmittelpunkt für Familie Bauer bildet.

Der Ururgroßvater von Ingrun Bauer, Adolf Eduard Herold, hatte den Gutshof 1895 erworben. Wer einen weithin sichtbaren Gutskomplex mit repräsentativem Äußerem erwartet, der wird erst einmal nicht fündig, wenn er das Anwesen sucht. In der Wechmarer Hohenkirchenstraße dominieren das prächtige Landhaus Studnitz und die himmelsstürmende Wechmarer Dorfkirche. Ganz hinten am Ende der Hohenkirchenstraße fällt dann beim zweiten Hinschauen in der rechten Ecke ein größeres Holztor auf, so wie es bei den Bauernhöfen im Ort üblich ist. Allerdings ist es in ein Gebäude mit Mansarddach eingebaut, dazu noch ziemlich schmal. Die Eingangstür ist in den linken Türflügel eingelassen, für eine extra Pforte reichte der Platz nicht. Ob hier das Gut Weidensee zu finden ist? So einfach in der Ecke? Wird dann die Eingangstür durchschritten, ersteht vor den Augen eine andere Welt. Nach ein paar Schritten steht man in einem weitläufigen Hof, der von großen Stallgebäuden umschlossen wird. Die komplette Nordseite nimmt das riesige Wohnhaus ein, das Respekt einflößt. Fast könnte man meinen, im nächsten Augenblick öffnet sich die prachtvolle Haustür und die Mitglieder der Adelsfamilie von Berga, der das Gut von 1699 bis 1768 gehörte, treten mit prachtvoller barocker Kleidung und zeitgemäßen Perücken heraus. Oder die Frau Kerst, deren Familie Weidensee an die Vorfahren der Bauers verkaufte, läuft aus der Eingangstür zur Speisekammer holt sich eine Wurst und verspeist diese schon auf dem Rückweg. Die Familie Kerst war für ihren großen Appetit bekannt, von dem die Wechmarer noch heute sprechen. Eine Dorflegende quasi.

Warum aber nun der Name Gut Weidensee? Er kommt ganz einfach von der Familie von Weidensee, die es lange besessen hat. Ein gleichnamiges Rittergut liegt in der Nähe von Mühlhausen, von dort soll diese Familie herstammen. 1667 starb sie in Wechmar im Mannestamm aus, der Gutsname erinnert noch heute an sie. So etwas könnte man als „Sprachdenkmal“ bezeichnen. Die Gutsanlage in der heutigen Form entstand dann allerdings erst zu Zeiten der Familie von Berga. Familie Bauer führt mit Stolz, viel Arbeit und Ausdauer die lange Geschichte des traditionsreichen Hofes fort. Die große zweiflüglige Eingangstür öffnet sich nur zu besonderen Gelegenheiten, es gibt weitere Hauseingänge, die die Bewohner alltags nutzen. Öffnet sie sich aber, sind die Eintretenden abermals beeindruckt. Eine Eingangshalle mit doppelläufiger Treppe und herrschaftlichem Ambiente zeigt, dass das Wohnhaus einst für Adelige errichtet wurde. Die Schlaf- und Ruheräume befanden sich ursprünglich im Obergeschoss. Auf halber Treppe fallen jeweils Gittertüren auf. Diese waren wohl zu Adelszeiten in der Nacht geschlossen. Kamen Angreifer auf den Hof und im schlimmsten Fall ins Haus, teilten sie sich erst einmal auf der doppelläufigen Treppe und mussten die Gittertüren überwinden. Das brachte Zeitgewinn. Die Bewohner des ­Obergeschosses konnten sich zur Verteidigung rüsten. Da zählten Augenblicke.

Besucher werden heute mitunter durch die Hintertür verabschiedet. Diese öffnet wieder ganz neue Perspektiven. Erst einmal übertrifft sie an Größe sowieso die meisten heutigen Haustüren. Der Heraustretende erlebt wieder eine Überraschung, so wie beim Eintreten in den Gutshof. Der Blick geht weit über das Dorf und zur Straße geht es einen Abhang herab. Von hier unten wirkt Gut Weidensee gar nicht so eingeklemmt und unscheinbar, wie etwa von der Hohenkirchenstraße aus. Fast steht es repräsentativ wie ein Schloss auf der Anhöhe. Allerdings auch wieder so angemessen unauffällig, dass es in alter Zeit von ungebetenen Gästen durchaus übersehen werden konnte. Ritten die vorbei, musste sich der Treppen­trick aus der Eingangshalle nicht unbedingt bewähren.

 

Quelle

Foto + Text von Dirk Koch

Burgen-Blick

Erschienen in der Ausgabe: 27. März 2021