Die verschwundene Villa auf dem verschwundenen Berg
Serie: Gebäude-Geschichten
Heute kennt ihn wohl kaum noch jemand, den Herrenberg. Dabei war er einstmals eine markante Erhebung zwischen Sülzenbrücken, Haarhausen und Rehestädt. Auf seiner Kuppe stand ein Gebäude, die zum Gut gehörende „Villa“. Aber man muss schon an die neunzig Jahre alt sein, um sich noch an das intakte Bauwerk erinnern zu können.
Gebaut wurde die Villa durch den Gutsbesitzer Friedrich Hartung. Am 3. August 1878 reichte der Gemeindevorstand für ihn den Bauantrag beim Herzoglich Sächs. Landratsamt in Gotha wie folgt ein: „… dass der hiesige Einwohner Fritz Hartung gesonnen ist, auf seinem Planstück No.179 in hiesiger Flur ein Häuschen zu bauen … und wird um gütigste Genehmigung gehorsamst gebeten. In Hochachtung verharrt der Gemeindevorstand Ernst Müller“. Die Bearbeitung geschah umgehend. Bereits am 10. August 1878, also nach einer Woche, wurden die Zeichnung und der Bau genehmigt. Weitere zwei Monate später, am 16. Oktober, erfolgte die Baufertigstellungsanzeige.
Das „Häuschen“ hatte eine Höhe von etwa 6 m und eine Grundfläche von 5 x 5 m. Hinzu kamen noch die steinerne Treppe und ein Eingangsbereich mit Schmuckgiebel. Das Hauptgeschoss bestand aus einem einzelnen Raum, das Untergeschoss barg einen Pferdestall. Zur Bauweise ist zu bemerken, dass es ein Ziegelsteinbau war, der Pferdestall jedoch war aus Kalksteinblöcken gemauert. Treppe und Eingang zeigten Richtung Sülzenbrücken. Das Gebäude stand unmittelbar am Weg, der damals über den Herrenberg führte und auch die Flurgrenze zu Haarhausen bildete.
Die Villa ist vermutlich in den 1940er Jahren abgebrannt (s. Foto). Man kann davon ausgehen, dass sie einer Brandstiftung zum Opfer fiel. Ein Luftangriff hatte nicht stattgefunden. Der Wiederaufbau fand nicht statt, da in der Nachkriegszeit andere Sorgen das Leben der Menschen bestimmten. Das Foto hat Herr Dieter Kuntze, der Sohn des damaligen Besitzers und heute selbst 92 Jahre alt, nach dem Brand mit dem zur Konfirmation als Geschenk erhaltenen Fotoapparat geschossen. Um 1960 stand das Untergeschoß noch, der ehemalige Pferdestall, wie sich der Verfasser gut erinnern kann. Heute bezeugen ein paar Schuttreste und ein Holunderbusch den einstigen Standort.
Für die Nutzung des Häuschens gibt es nur Vermutungen. Dorthin ging vielleicht der Sonntagsausflug der Gutsfamilie zum Kaffeetrinken in der Pferdekutsche und man konnte seine Felder überblicken, die zu einem großen Teil am und in der Nähe des Herrenberges in Richtung Sülzenbrücken lagen. Beim späteren Besitzer Kuntze hat es noch für die Vesper während der Feldarbeiten gedient. Auch bei den damals jährlichen Jagden, bei denen bis zu 100 Hasen geschossen wurden, wurde hier Imbiss gemacht und angestoßen. An den Jagden beteiligten sich alle Jäger des Ortes, die Jagdgerechtigkeit lag bei der Gemeinde.
Wie die Villa ist ebenfalls der Herrenberg verschwunden, wenn auch nicht körperlich, so doch in unserer Wahrnehmung. Durch die Erweiterung der Mülldeponie Rehestädt und die Aufschüttungen sind unmittelbar dahinter höhere Erhebungen entstanden, die den „Hermberg“, wie er früher umgangssprachlich genannt wurde, optisch nicht mehr wahrnehmbar werden lassen. Doch wer genau hinschaut, kann ihn immer noch erkennen, den 275 m hohen Herrenberg. Und wer viel Fantasie hat, mag sie auch vor seinem geistigen Auge klar auf dem Berg stehen sehen, die Villa!
(Zeichnungsausschnitt: LATh-StA Gotha, Landratsamt Gotha Nr. 3939, Bl. 7)
Quelle
Bild und Text von von Bernd Hartung
Burgen-Blick
Erschienen in der Ausgabe: 26. Juni 2021