„Graf Gotters Erben“ erhielten den Thüringer Denkmalpreis
Serie: Gebäude-Geschichten
Es ist schon eine eigenartige Sache, wenn man heute ein historisches Gebäudeensemble besucht, an welchem man vor über dreißig Jahren selbst mal als Architekt tätig war. Und das unter den Bedingungen der DDR–Planwirtschaft und einem kirchlichen Bauherren. So war es damals für eine Kirchengemeinde schwierig, eine Baugenehmigung für ein Hotel oder eine Pension zu erhalten. Also beantragte man die Errichtung von Wohnungen in dem alten Kirchengut in Neudietendorf.
Doch die Geschichte des Gebäudekomplex begann viel früher. Der umtriebige, ehemals bürgerliche Reichsgraf Gustav Adolf Gotter aus Gotha war es, der das Schloss Molsdorf finanzieren wollte. Dazu gründete er eine Wollmanufaktur am westlichen Ufer des Apfelstädtflusses, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch in Süd–Nord–Richtung durch das heutige Ortszentrum Neudietendorfs floss. So entstand um 1730 die geschlossene Häuserzeile der Zinzendorfstraße parallel zum Fluss. Sie bot den holländischen Weberfamilien Wohnungen und Werkstätten gleichermaßen, wohl ohne wirtschaftlichen Erfolg. So gingen die Weber wieder weg und die Häuser standen leer. Das war die Zeit der Asylsuche von Familien der pietistischen Brüdergemeine aus Böhmen und Mähren, heute Tschechien. Nach mehren Versuchen wurden die Einwanderer hier um 1750 ansässig. Da die Brüder selbst nicht als Bauern tätig waren, richteten sie landwirtschaftliche Güter ein, im Volksmund Kirchengüter genannt, um die notwendigen Produkte zu erzeugen.
Die erste Generation der Brüder hatte für den Bau eines Gemeinsaals (Kirchensaal) kein Geld. So wurden das Vorderhaus mit den Nebengebäuden des heutigen Kirchengutes zusammen gefasst um im Obergeschoss einen Saal einzurichten. Gleichzeitig wurde in der Mittelachse des Hauses, im Dachgeschoss ein kleiner Turm mit einer Glocke eingefügt, wie es die bescheidene brüderische Bautradition vorsah. Erst mit dem Neubau der Brüderkirche im Jahre 1780 wurde das Kirchengut nur noch für Wohn– und Wirtschaftszwecke genutzt. Die folgenden zehn Generationen nahmen im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach Umbauten und Erweiterungen vor. Es entstanden Stallgebäude für die Schweine– und Rinderhaltung, aber auch Werkstätten und eine Schmiede. Ab 1990 wurde der Südflügel erneuert und die Pension „Alter Hof“ eröffnete.
Das ist das Erbe, das vor vier Jahren fünf junge Familien mit großem Mut angetreten haben, um in diesem alten, teils verschlissenen Ensemble Wohnungen zu schaffen. Das erste Jahr nannten sie ihre Findungszeit des „Wohngutes“.
Nach dem Kaufvertrag konnte die verbindliche Planung mit dem Architekten beginnen, einem Mann, der bereits Erfahrungen mit solch schwierigen Objekten hatte: Dipl. Ing. Carsten Eichholz aus Erfurt. Mit der Aufnahme des Baubestandes wurden die Weichen für die künftigen Bewohner und Eigentümer gestellt.
Im Südflügel entstehen zwei Wohnungen und im Haupthaus ebenfalls zwei Einheiten. Besondere Herausforderungen stellen die alten Holzbalkendecken sowie die verschiedenartigen Wandkonstruktionen dar. Der Nordflügel, ein ehemaliges Stallgebäude, verfügt im Erdgeschoss über Kreuzgewölbe. Hier bleiben genügend Räume für Abstellkammern, Kinderwagen und Fahrräder übrig. Für die Autos der Familien könnte zu einem späteren Zeitpunkt der frühere Rinderstall umgebaut werden. Vorhandene ältere Garagen und Schuppen wurden für die Grüngestaltung im Innenhof abgerissen.
Der eingangs erwähnte lebensfrohe Graf Gotter hätte sicher viel Freude an den fünf jungen Familien, hatte er doch für diese Verbindung von Wohnen, Leben und Arbeiten einst diese Häuser bauen lassen. Auch dafür erhielt die Bauherrengemeinschaft den Thüringer Denkmalpreis 2018.
Quelle
Foto von Jörg Mansch
Text von A. D. Schumann
Burgen-Blick
Erschienen in der Ausgabe: 27. Juni 2020